Freitag, 28. Juni 2019

Is there a secret to happiness

Ein Freund erzählt mir von seiner Depression in der er versucht sich den kreativen Seiten des Lebens zu widmen, diese als Meditation zu sehen. Gleichzeitig scheint ihn die Frage nicht loszulassen, die er mir schließlich stellt: Gibt es ein Geheimnis zum Glücklichsein?

„Natürlich nicht“ möchte ich ihm entgegnen. Wenn Glücklichsein ein Geheimnis wäre, so  könntem es versteckt werden. Es wäre vielleicht nicht jedem zugänglich und stünde nur bestimmen Menschen offen. Geheimnisse werden gerne gelüftet, manche schaffen es geheim, originalverpackt zu bleiben.

Gehütet, verborgen, nicht zugänglich. Kann das ein innerer Zustand sein? Denn was ist Happiness, etwas bescheidener vielleicht Zufriedenheit, denn anderes, als ein innerer Zustand, in unserenGesellschaft, in der es den meisten Menschen nach der maslowschen Basis an nichts fehlt.

Was der Freund mit seiner Frage allerdings meint: Gibt es einen schnellen, kurzen, einfachen Weg, glücklich zu werden wenn man es sein Leben lang nie richtig war, nie richtig empfinden konnte? Gibt es vielleicht den Moment der Enthüllung, den Moment bei dem man laut „Aaah“ ruft und alles ist gut. Gibt es sie, die Glücks-Jeany in a bottle?

Ich möchte ihn nicht verärgern mit scheinbar spießigen Wortklaubereien und gehe den Weg den er bereits erwähnt hat: Die Kreativität. In seiner Depression ist er fähig, sich auszudrücken. Malen, Musizieren, Schreiben, Kochen, Buchstaben in den Sand ritzen. Er lässt zu, was sich aus ihm herausschält, er entdeckt sein Gold aus der dunklen Seite des Nicht-Funktionierens im Sinne unserer gesellschaftlichen Erwartungen. Er ist ganz bei sich in diesen Tätigkeiten, die er nicht tun könnte, wären sein Schmerz und seine Ängste betäubt. Mit Drogen oder der Ablenkung des betriebsamen Müssens einer wirtschaftlich notwendigen Tätigkeit. Bei vielen Menschen ist das der Beruf. 

Unsere dunkle, oftmals depressive Seite, sie ist der Ursprung des kreativen Potentials das sich an die Oberfläche traut wenn wir nicht müssen, wenn uns alles egal ist. Dann tun wir es - ob wir danach gelobt werden oder nicht, ob es für andere Sinn macht oder nicht, ob es wirtschaftlich verwertbar ist oder nicht. Diese Momente, einer nach dem anderen. Diese Zeit der Tiefe, sie ist es vielleicht - das Geheimnis zum Glück im Augenblick. 

Vielleicht ist auch der Versuch des Lüftens der Ausgangspunkt dafür, es zu finden. Es herausschälen zu wollen aus sich selbst - Schicht für Schicht. Bis zum Kern. Bis ganz nach Innen.

Professionelle Hilfe ist für mich dabei essenziell. Medikamente ohne Hinterfragen, ohne therapeutische Begleitung, das kann nicht langfristig helfen. Es ist oft nur ein kurzfristiges Wiederaufrichten um schnell so wie vorher weiter machen zu können. Das ist, als drücke man Luftblasen unter Wasser. Sie kommen an anderer Stelle wieder hoch. Je tiefer man sie vorher gedrückt hat, desto gewaltsamer bahnen sie sich ihren Weg wieder nach oben. Die populäre Schule des Positiven Denkens ist für mich solch ein Ansatz „Ich kann alles, wenn ich nur möchte.“, lässt uns am Ende noch schlechter, noch kleiner, noch trauriger fühlen, wenn wir es wieder einmal nicht geschafft haben „einfach“ positiv und glücklich zu sein.

Ich bin mir sicher, wir sollten dorthin gehen, wo unsere emotionalen Wurzeln sind: In unsere Kindheit. Behutsam, wohlwollend, ja liebend diese betrachten. Darüber sprechen, gehört werden, begleitet, für ein essenzielles Verstehen woher unsere unangenehmen Emotionen und behindernden Glaubenssätze kommen - es ist Arbeit. Arbeit die nicht in ein paar Tagen, auch nicht in ein paar Wochen getan ist. Arbeit, die nie endet, nie in Rente geht - möchten wir uns weiter entwickeln zu uns selbst, möchten wir wachsen um zu werden was wir sind und immer mehr zu sein was wir sind - im Augenblick. Diese Aufgabe, sie endet erst, wenn wir nicht mehr hier sind.

Wenn es also ein Geheimnis zu lüften gibt, dann vielleicht das Akzeptieren, dass es keine kurzfristige, schnelle Aha-Methode gibt, dass es keinen Traumpartner kein schnelles Auto, keinen Schamanen und auch keinen Coach oder Therapeuten und schon gar keine Tablette gibt, die die Decke für uns lüftet und uns ewig glücklich sein lässt. Es gibt einen Weg und den gehen wir selbst - am besten begleitet - wohin er uns führt wie weit hinein er uns führt, das bestimmen wir selbst. Wenn wir mit schnellen Lösungen an der Oberfläche bleiben möchten, dann bleiben wir dort. 

Wir dürfen nicht die Verantwortung abgeben und erwarten, dass von außen der heilige Windstoß kommt, der das Geheimnis zum eigenen Glück lüftet, denn das müssen wir selbst tun. Schritt für Schritt. Nach und Nach. Dieses achtsame Vorwärtsgehen das könnte es sein, ein "Secret to happiness".

Dienstag, 18. Juni 2019

Die Welle

Früh am Morgen, die übliche Hektik. Die Kinder ziehen los nach dem Frühstück, mit ihren Dosen und Flaschen, die Ränzen aufgeschnallt, die Sportsachen eingepackt. Zurück im Haus finde ich mich wieder im eben verursachten Küchengemetzel und spüre sie auf mich zurollen, die Welle. Verletzungen als hochgespülte Gischt auf ihrem Kamm. Wieder mal oben. Ich kann sie nicht reiten. Ich möchte sie nicht reiten. Bin froh, dass sie jetzt da ist und ich nicht vor ihr fliehen muss. Ich tauche ein. Tief. Wieder ins Bett wo sie über mir bricht. Der Schmerz, die Wut, die Traurigkeit. Monsterwelle. Wir kennen uns. Sie und ich. Wir ergänzen uns. Wir lieben uns.

Ich würde gerne weiter in ihr tauchen, doch ein Termin ruft. Ich paddle ans Ufer, dusche kalt. Draußen ist es heiß. Eine schlabberige Short, ein T-Shirt von gestern. Der Termin ist keiner bei dem ich aussehen muss. Schwinge mich aufs Rad. Rechts vom Haus schneidet ein Mann die Hecke. Er scheint seine Latzhose zu sprengen. Oben wie unten. Pralle, voll tätowierte Arme schwingen die Heckenschere. Sein Vollbart blitzt. Cartoon pur. Ein Foto von ihm wäre ihm sicher nicht recht. Ich knipse mit meiner Hirnkamera. Am Eck, die Spargelfrau. Sie klappt gerade ihren Stand auf und ruft fröhlich „guten Morgen“. Zurückgrüßend trete ich in meine Pedale, in mein Leben zurück. Wieder aufgetaucht. Wieder an Land.

Samstag, 29. Dezember 2018

Eltern - am Kern des Problems

Weihnachten - die Zeit mit der Familie. Wenn große Familientreffen, dann an Weihnachten. Und warum, überfordert uns das oft, vor allem uns, die erwachsenen "Kinder"? Warum können wir selten die Zeit mit den alternden Eltern genießen, wohlwollend über Ihre Schwächen und seit Jahrzehnten gleiche, immer wiederkehrenden Aussagen lächeln und diese Zeit einfach die gemeinsame Zeit sein lassen? Warum nur, sind wir genervt, überfordert, froh wenn wir wieder in unser eigenes zu Hause können - auch wenn unser Gewissen uns einredet, dass wir länger hätten bleiben sollen?

Warum, so fragte mich ein Freund, bin ich überfordert? Und warum, so schrieb eine andere Freundin, bin ich so genervt von Ihnen? Und warum, so die Dritte, möchte ich bleiben und kann es nicht weil sie mich so aufregen? Warum haben wir alle diese Gefühle, diese Wut wenn wir mit der Familie über längere Zeiträume verbringen, so wie damals, nur dass wir nicht mehr im damals sind?

Vielleicht weil wir uns verändert haben und sie sich unserer Meinung nach nicht. Vielleicht, weil wir sie ändern wollen und weil sie unsere Schwachpunkte kennen, sie triggern. Vielleicht, weil wir nicht erkennen, dass wir uns nicht über sie aufregen, sondern über uns. Einen Teil von uns. Denn das sind sie. Sie sind ein großer Teil unseres Lebens und und zwar der, den wir vermeintlich hinter uns gelassen haben. Und weil es einfacher ist auf Sie zu blicken und sich zu ärgern, statt in uns selbst zu schauen. Denn das, was sie in uns auslösen, das sind wir, das sind unsere Gefühle, nicht ihre. Und weil es einfacher ist, sie zu kritisieren als nach Innen zu schauen und dort zu forschen, schauen wir auf sie. Wütend. Trotzig. Ohnmächtig. Wie kleine Kinder eben.

Unsere Eltern sind die, die uns in die Erwachsenenwelt entlassen haben. Egal wie bewusst oder unbewusst, vermeintlich gut oder schlecht sie es getan haben. Sie sind unser Tor zur Welt, wie eng oder weit es auch war, sie sind das Sinnbild der Abnabelung. Sie sind der Inbegriff der Trennung und damit auch der Enttäuschung. Denn wer trennt sich freiwillig von dem was sich gut, gesund, geborgen anfühlt?

Sie sind die Menschen, die uns die Illusion des Kleinkinds nahmen, nicht einsam zu sein. Kinder lieben immer vorbehaltlos, Erwachsene können das selten. Sie haben uns also in die Einsamkeit entlassen, nicht weil sie schlecht oder böse sind, sondern weil sie nicht anders konnten. Sie sind meist der Ursprung unserer Enttäuschung, der tiefste Kern unseres eigenen Problems. Und egal wie sehr wir uns darüber bewusst sind - sie treffen immer unseren tiefsten, verletzbaren Kern, denn sie haben ihn erschaffen. Damit wir eigenständige Erwachsene sein können.

Und Weihnachten? Es ist der Zeitpunkt an dem unser inneres Kind wieder auf die Eltern trifft die nicht so sind, wie das Kind sie sich gewünscht hatte, wie es sie dringend gebraucht hätte. Doch anstatt selbst der Erwachsene zu sein, der da steht und das Kind in den Arm nimmt, denken wir manchmal eben noch, die Eltern könnten es tun. Denn wir sind Menschen. Wir geben nicht auf zu hoffen, auch wenn wir wissen dass es keinen Sinn hat - das Hoffen auf Eltern die keine Menschen sind, sondern Götter.

Donnerstag, 15. November 2018

Zeitgeiz

Ich traf sie auf einer Feier. Wir kamen ins Gespräch. Sie erzählte mir, sie sei  Gleichstellungsbeauftragte in ihrem Unternehmen. 

Wir sprachen über die Schulen, darüber dass manche Kinder Anschub bräuchten, andere nicht und dass sie immer arbeiten gegangen war, trotz der Kinder. Dass sie viele Mütter nicht verstehe die gestresst sind weil sie arbeiten würden und auch noch beim Turnunterricht der Kinder zusehen würden (solch zusehende Mütter kenne ich allerdings nicht) und so rutschten wir aus - in mein Leben.

Ich arbeite im Moment nicht. Die Aussage ist so falsch wie der Glaube dass der Storch die Kinder bringt, denn weder bringt er sie, noch zieht er sie groß. Noch ist er da wenn wir sie morgens,  nachmittags oder nachts betreuen bis die größer werdenenden Kleinen am Abend die Augen schließen. Muss ich aufzählen was dazugehört?

Volkswirtschaftlich gesprochen versuche ich möglichst zufriedene, gesunde Rentenzahler von morgen zu produzieren. Ich tue dies mindestens 6 Stunden am Tag, keine Gleitzeit, kein Urlaubsanspruch, immer auf standby, eigene Entwicklungsmöglichkeiten sind die des Mitlernenden, schleichende Kündigung nach 17 bis 25 Jahren ziemlich wahrscheinlich. Weil Kinder betreuen nicht arbeiten ist, weil diese Rolle "natürlich" ist und daher "natürlich" auch nicht monetär entlohnt wird. Ist doch klar!

Was soll ich sagen? Ich war zufrieden vor diesem Abend. Danach gehe ich mit der Wut im Bauch nach Hause darüber jetzt zu versorgen, doch später vielleicht nicht versorgt zu sein. Mit Dem Gefühl, dumm zu sein, denn, so ihr Buchtipp „ein Mann ist keine Altersvorsorge“. Und vor allem dem Gefühl das, was ich gerade mal ein Jahr lang getan habe wäre fahrlässig dumm.

Was tue ich denn? Im Moment sitze ich hier. Ich schreibe. Ich atme - wenn morgens alle aus dem Haus sind - auch durch. Ich gönne mir eine Stunde Yoga, oder ein Buch, oder ich probiere etwas Neues aus und wenn es mir gut tut freue ich mich, wenn nicht, lasse ich es wieder.

Und, ich habe Zeit zuzusagen, wenn die Klasse meines Sohnes für einen Ausflug Eltern braucht, wenn Vorlesetag in der Schule ist, oder Chorprobe - ich habe mich ausgeklinkt aus dem Dauertenor der Mütter in meinem Umfeld, dem Mantra der mich umgebenden Akademikerinnenschicht, das da heißt „für so etwas habe ich keine Zeit“.

Als ich "neben" meiner natürlichen, nicht entlohnten Muttertätigkeit gearbeitet hatte wurde ich depressiv. Dauerfrustrierte Kollegen und Themen die mich damals nicht interessierten taten ihr übriges. Gutes Geld hat mich jahrelang ausharren lassen - bis ein emotionaler Schlag ins Genick es mir fast gebrochen hätte. Angehalten werden wenn man es nicht selbst tut - das erfahren wohl die meißten Menschen irgendwann und weil sie keine Zeit haben genauer hinzuschauen schlucken sie Medikamente oder bedienen sich anders auf dem Markt der Selbstzerstörungsmöglichkeiten der so groß und unglaublich einfallsreich ist. Kreativität pur also? So lange irgendjemand Geld damit verdient, ja!

Ich arbeite nun bewusst seit einem Jahr nicht für Geld. Das stimmt nicht ganz, denn ich bin selbständig und  manchmal mache ich einen Job, ein paar Wochen. Dann freut sich mein Mann, dass ich einen Teil des Urlaubs bezahle. Ich freue mich über nette Kollegen und gekochtes Mittagessen in der Kantine meines Kunden. Doch wenn ein Projekt vorbei ist fehlt mir kaum etwas - außer der Entlohnung meiner Tätigkeit.

Mein Job - Produkte vermarkten die hauptsächlich der braucht, der sie verkauft. Ich sah für mich keine Sinn mehr darin. Freude war verlorengegangen. Auch menschlich kaum Positives. Wer sich selbst nicht mag, kann auch andere nicht mögen, grenzt ab, schafft Schubladen. Gut und Schlecht. Oben und Unten. Die anderen gegen mich. Misstrauen auf allen Ebenen. Schuld sitzt immer im Außen. Wo sonst?

Ich wurde immer müder, immer ätzender mit den Kindern - die immer mehr Bauchschmerzen, Unverträglichkeiten, Zappeleien entwickelten - ihre Form der Kooperation. Sie funktionieren viel natürlicher als wir es tun.

Auch ich hatte keine Zeit damals, nicht  einmal dafür mir Gedanken zu machen wofür ich sie tatsächlich opfere: Für Geld und damit emotional verbunden vermeintliche Sicherheit die es nicht gibt. Für eine wohlhabende Zukunft die ich haben werde, dann, wenn meine Gesamtzeit fast ausgegangen ist - wenn sie mir nicht vorher schon ausgegangen sein wird.

Ja, sie hatte Recht, die Frauenbeauftragte. Die Rente meines Mannes kann für seine Pflege drauf gehen - wenn er nicht sofort stirbt nach einem An- oder Unfall. Dann bleibt mir nichts wenn ich nichts Eigenes habe. Es muss also nicht Trennung der Grund sein dafür dass ich arm sein könnte im Alter, dann, wenn ich das bewusst geschenkt habe, was viele Frauen in meinem Alter, meiner Schicht nie gelernt haben sich selbst zu schenken: Zeit. Zeit vor allem in Form von Selbstliebe, vereinfacht gesagt Zeit dafür, gut zu sich selbst zu sein in den vier bis fünf Stunden des Tages an denen meine nicht mit Geld oder Rentenansprüchen bezahlte Arbeit in der Schule, beim Training oder im Bett ist.

Dienstag, 27. Februar 2018

Frankfurt öffentlich von West nach Ost

Quer durch Frankfurt, so die „Hausaufgabe“ des Schreibkurses zu dem mich mein Nachbar überredet hat: Eine Straßenbahnfahrt mit der 11 quer durch die Stadt: Von Frankfurt Höchst (Zuckschwertstraße) nach Fechenheim (Schießhüttenstraße).

Es gibt noch andere mögliche Aufgaben auf die ich spontan mehr Lust habe, die ich jedoch, frisch geschrieben, meinen Mitschreiberlingen nicht zumuten möchte - vor allem möchte ich keine Fragen zum Geschriebenen beantworten, möchte es nicht bewertet sehen. Vielleicht ist es doch gut neue Wege zu gehen. So radle ich bei Sonnenschein an der Nidda entlang bis nach Höchst, wo sie in den Main mündet und trete die Hausaufgabenfahrt an der Endstation Zuckschwertstraße an.

Hauptmann Zuckschwert hatte sich im im 30-jährigen Krieg geweigert, das hier ansässige Schloss zu sprengen. Und so verdanken wir dem Hauptmann wohl auch die folgende Straßenbahnhaltestelle und die Aussicht auf den Bolongaropalast, die wir bald nach einem hektisch rot blinkenden Falaffel-Schild erreichen. 

Vor Abfahrt hole ich mir eine Stärkung im Verkaufspavillon mit türkischem Backshop mit Lahmacun, Börek oder urtürkischem „Wrap“. Alles hausgemacht, versichert mir die junge Verkäuferin - die einige der Passanten persönlich grüßt.  Zufrieden mit meinem Wrap in der Hand steige ich in die knatschgelbe Straßenbahnlinie 11 um beim Verspeisen den süß-säuerliche Geruch der höchster Industrieanlagen aus der Nase zu verdrängen.

Die Bahn zuckelt los am vom Hauptmann geschützten Schlossgebäude, einer Moschee, dem goldenem Wok und bald schon kleinen Reihenhäuschen, die gelb, grün, blau zu mir herüber lächeln. Die beiden Herren in RMV-Kluft in meiner Sitzgruppe unterhalten sich in slawischer Sprache - mein nebenan spricht schnell, spuckt zwischendurch deutsche Wörter aus wie „Pünktlichkeit“und „Verspätung“. Sein größerer, älterer Kollege gegenüber nickt einvernehmlich, spricht kaum, hier durch Frankfurt Nied. Der kleine, jüngere, wird immer lauter. Am Griesheim Center nähern wir uns dem aufregungstechnischen Höhepunkt des jungen Chauffeurs außer Dienst. Am pinken Adler Mode Markt frage ich ihn, welche Sprache er spricht. „Serbisch“ antwortet er mir lachend. Sein gegenüber schmunzelt und als der jüngere aussteigt, meint der sitzen gebliebene Kollege zu mir: „Ich bin Kroate, er versteht mich, aber ich verstehe ihn oft nicht.“.

Station Mönchhofstraße, Griesheim, der Kroate steigt aus, Alkoholgeruch steigt ein. Süßlich, von gestern oder vorgestern, vermischt mit Knobi, begleitet von außen mit Pitstop, Textilpflege und Pizzeria „Prego“. Ein Mann und eine Frau plätschern afrikanisches Französisch hinter mir. Der Mann insistiert. Ab der Station Schwalbacher Straße schweigt die Frau. 

Ich freue mich über meinen Sitzplatz, denn nach Küchenshop, KIK und Schuhtraum rechter Hand ist die Bahn jetzt quetschvoll, fährt flott an, und der Straßenbahnchauffeur legt eine Vollbremsung ein. Für einen Moment ist es still im internationalen Stimmengewirr - gut, dass es so eng ist. Niemand ist umgefallen. Die Anfahrt der 11 gelingt rasch und ein nuscheliges „Wenn sisch jemand verletzt hat, zum Fahrer nach vorne kommen.“ scheint nicht wirklich ernst gemeint. Eine Frau raunt ihrem Nachbarn zu „was hat der gesagt?“

Kamikaze gewinnt das Rennen mit einem Kleinlaster auf der mehrspurigen Mainzer Landstraße in Richtung Innenstadt. Ich möchte die Werbepause des Ein- und Aussteigens im Rennverlauf beschleunigen und einer der Akteure brüllt tatsächlich durch die nun geöffnete Straßenbahntür „lasst die Leute erst mal aussteigen bevor ihr reindrängelt!“

Langsam passieren wir den Kiosk am verbarrikadierten Turm der Galluswarte. Kichernde Teenies steigen ein. 
„Hej, neulisch hab isch mir so einen Macron gekauft, so ein runder Keks, hat Zweifuffzisch gekostet“. 
„Und? Kaufste wieda?“
„Warum soll isch, für zweifuffzisch?“

Die Mainzer Landstraße, die wir seit Griesheim entlanggleisen nun im Kleid restaurierter Bürogebäude im Loftstyle mit szenig wirkenden Restaurants und wachsender Häuserhöhe.

Zufrieden beginnen die Teenies an der Station Güterplatz zu turteln „mein Handy ist so schtark“. Ich verkneife mir einzuwerfen „mein Handy ist stärker als dein Fax.“ jedoch, ich möchte friedlich weiterfahren. Ein anderer Mitfahrer in meinem Alter hält die Pubertiere allerdings an, leiser zu turteln. Der Blick fällt auf Skyline Plaza, eines der neusten Einkaufszentren der Stadt neben Messe, Hochhaus-Baustelle, „Imori“ und „kleine Anna“.

Kamikaze-Pilot im Führerhäuschen nimmt die 90-Grad Kurve zum Platz der Republik auf die Zielgerade zum Hauptbahnhof vor dem Hochhaus von DZ Bank und anderen Wolkenkratzern. 

Frische Passagiere am Bahnhof. Vielleicht für die neu zugestiegenen, nun zurückhaltend in die kurze Linksskurve an O’Reillys Irish Pub wo bei Fußballevents die Biere nie ausgehen und verschiedenen, meist osmanisch geführten „ischhaballeswasdubrauchst“-Shops.

Die Turtelteens steigen in der Münchnerstraße aus. Professionelles, öffentliches Verkehrsmittel-Schweigen des verbleibenden Büropublikums lässt mich entspannen. Richtung Römer jagen wir an Tip-Shops, malayischen, indischen türkischen Restaurants, Schuhmacher Lenz und Gold ankaufenden Juwelieren vorbei.

Weseler Straße, Asialaden, Hediyelik, Geschenkartikel, Vatan Cafe, Burak und Karizma Friseur, Central Grill, Handy Markt, Deniz Bank, Türk Ketaber, Fletschers Burger - dazwischen Hochhäuser. Wir überqueren gemächlich den Willy-Brandt-Platz mit kubischen Glasfronten von Oper und Schauspielhaus, und Mammut-Euro-Zeichen vor der ehemaligen EZB.

Die ruhige Fahrt setzt sich fort, vorbei an Designläden, Galerien, Investmentgebäuden und den Museen für Moderne Kunst 1 und 3. Alkohol-Knobi steigt aus. Mit frischer Nase ist der Blick auf den von Fachwerk und Bauzäunen umgebenen Römer und die gegenüber liegende Pauslkirche vor abgesäbelten Winterplatanen ein Genuss. So tut Frankfurt gut. Auch in der 11.

Gnädig beäuge ich die bunte Leihradinflation und den wartenden roten Doppeldecker-Touribus mit Asiatengeschwader. Eine kräftige Frau steigt ein um türkisch auf Lautsprecher zu telefonieren. 

Kurz das Flair des alten Fachwerk-Frankfurts geschnappt, sind wir nun weiter Richtung Osten im kantigen 50er-Jahre Stil unterwegs. Hier scheint es mir berechtigt mich vom Smileyspiel auf dem Smartphone meiner Nachbarin ablenken zu lassen.

Ein kleiner, älterer Mann steigt ein, setzt sich mir gegenüber und lächelt mich an. Ein paar Stationen später wird er einen neuen Fahrgast grüßen. Ein lauter Bariton beginnt zu telefonieren. Es geht um „ihn“, man solle „ihn“ reden lassen. Ich Auch ich scheine „ihn“ nun kennenzulernen auf dieser Fahrt. Ein „Nachspiel“ würde es haben, so der Bariton an der Station Allerheiligentor. Rauchgeruch zieht herüber. Noch sind die Häuser unsaniert, Hotel Luxor, Obst, Gemüse, frisch und preiswert, Ostendstraße.

 Vor uns die sich monströs aufbauende EZB. Drumherum praktisch-schick wie Coffee Fellows und B&B Hotels. 

An der Station Zobelstraße ein kurzes Aufblitzen des alten Ostends. Eine ausgestorbene Pizzeria und Tedi - Ramsch für alle - lassen erahnen wie es hier war bevor die EZB ihren Sitz in den Osten der Stadt verlegte. Doch hauptsächlich schieben sich an dieser Stelle kühl-schöne Läden wie Illy Café, Yooki, modern japanese kitchen oder Globetrotter die Hanauer Landstraße nach Osten. Begleitet von Kränen für luftige Neubauten und der neuen Honsellbrücke über den Main.

Nun chinesisch per Smartphone-Lautsprecher. Ein Nichtverstehen und doch dabei sein und weiter geht es auf der zweispurigen Ausfallstraße, vorbei an Dialogmuseum, East 114, Coffee Fellows, Fitseveneleven, Gräf Völsings, Lounge Bar, motel one, Kieser. Zwischen Schnell-Kulinarik und Fitness scheint sich das Leben der Menschen hier zu bewegen um dann ein paar Meter weiter im Motorenrausch zu enden. Riesige Zentren des Vierrads reihen sich palastartig in Richtung Osten. Natürlich müssen Autos auch gereinigt werden, das wird erledigt bei Mc Wash und weiter draußen in einer Edelwaschanlage für den gehobenen Autofahrer mit Ausstiegscafé während das zweitbeste Stück den Innenraumservice auf fahrbarem Teppich genießt.

Schwedlerstraße - Aufblitzen der Möbelindustrie mit Roche Bobois, Yelloo und dem Möbelladen für Menschen mit modernem Geschmack und etwas mehr Geld in der Börse als Ikea-Kunden: Kontrast, gefolgt von Fliesenoutlet und Geschäften rund um Küche und Bau.

An der Haltestelle Daimlerstraße ist es mit den Vierradpalästen auch schon vorbei. KFC und Pizza Hut servieren heißes aus Tier und Getreide. Wir in der 11 treten erneut in den Wettstreit mit den sich neben uns stauenden Autos, denn die Abstände zwischen den Haltepunkten sind länger geworden. Autovermietungen und Reifenhandel. Dieselstraße – zutreffender könnte die Haltestelle nicht heißen. 

Der kleine Mann, der immer wieder Fahrgäste grüßt, zeigt mir eine riesige Baustelle. „Da wird eine S-Bahn gebaut,“ meint er, und unterstützt seine Worte mit ausladenden Handzeichen. Ich bedanke mich für die Info die er mir wohl gibt, weil er gesehen hat, dass ich in mein Büchlein schreibe.

Hornbach, Mainova, TÜV Hessen ...

Ein altes Fabrik-Ziegelgebäude an der Haltestelle Casellastraße und wir sind fast am Ziel der Endstation von Nr. 11., im östlichen Osten der Stadt. Kamikaze nimmt zusehends langsamer die Kurve um den alten Industriekomplex nach rechts nach Alt-Fechenheim. 


Hier steht die Zeit still und so scheint es auch an der folgenden Endstation Schießhüttenstraße. Kneipe rechts, Fluss links. An der bogenhaften Fußgängerbrücke über den Main lässt das Schild „Pferde verboten“ erahnen, wie hier gelebt wird. Auch der Main scheint seine idyllische Kurve zu genießen, bevor er der 11 entgegen nach Westen, Richtung Großstadt fließt. Ich steige aus, bewundere pferdfreie Brücke, Schilf und Fluss und Ruhe und die wilde 11 zieht weiter um zu wenden und gleich wieder von neuem zu starten, zurück Richtung Zuckschwertstraße. Erschöpft von der Reise quer durch die Stadt werde ich nicht einsteigen. Ich laufe zum Fluss – durchatmen. Endstation Schießhüttenstraße.

Donnerstag, 11. Mai 2017

Was ich immer schon mal sein wollte


Eine Freundin bittet mich, Ihren Post zu beantworten der da lautet: „Welche Erfahrung würdest Du gerne noch machen? Was wärest Du gerne in diesem Leben was Du noch nicht warst?“ Normalerweise kommentiere ich solche Posts nicht, doch weil sie mich per Nachricht darum bittet, denke ich nach und weiß meinen Wunsch ausnahmsweise sofort: „Muse. Ich wäre gerne Muse.“ poste ich.

Mein Nachbar antwortet daraufhin „Von Wem?“, und ich zurück „Das ist die große Frage“. Er bietet sich als Künstler an, denn er ist einer. Wenn das so einfach wäre!

Beim Abendessen mit den Kindern frage ich meinem Mann ob er definieren könne, was eine Muse sei. Er beschreibt den Begriff einer Frau, die einen Künstler zu seinen Werken anregt, das Wort Inspiration fällt ihm nicht sofort ein. Die Kinder hören ungewöhnlich aufmerksam zu und beim Aufräumen des Abendessens in der Küche sagt er lachend „Wahrscheinlich wärst Du gerne Muse weil Du dafür nicht arbeiten musst.“

Ich bin traurig und gleichzeitig ärgere ich mich das Thema wortwörtlich auf den Tisch gebracht zu haben. Nachdem die Kinder im Bett sind beginnen mein Mann und ich zu sprechen oder eher ich spreche und er schweigt zurück, kann doch alles was er nun sagt für mich nur falsch sein. Dabei ist doch tatsächlich alles gesagte richtig.

Denn Muse sein heißt nicht einfach „nur“ geliebt werden. Muse sein heißt zu inspirieren und ja genau, ohne etwas dafür tun zu müssen, also ohne dafür „arbeiten“ zu müssen. Muse sein ist nicht erlern- oder erarbeitbar, es ist also reine Glückssache. Und diese Glückssache ist die Muse hauptsächlich für den Künstler, denn sie selbst - vor allem ist sie ebenfalls Künstlerin - wird dabei nicht immer glücklich - man denke an Camille Claudel oder Sylvia Plath. 

Und vielleicht möchte ich auch nur Muse sein weil ich selbst gerne eine hätte. Inspiration nämlich und damit es eine schön romantische Geschichte ist, stellen wir uns diese Inspiration in Form eines Menschen vor. Dabei geht der Begriff auf die griechische Mythologie zurück und wurde als „göttliche oder genialistische Inspirationsquelle für Künstler“ gesehen. Die Griechen glaubten nämlich, Ideen entwickelt nicht der Mensch selbst, sondern werden ihm von Göttern oder eben deren Hilfsarbeiterinnen, eben diesen Musen, von außen eingegeben. 

Und ja, Muse sein heißt nicht dafür zu „arbeiten“, denn sie ist göttlich, die Inspiration - so glaubten die Griechen. Und daher machte es Sinn, das zu tun, was meine Freundin in Ihrem Post so schön einleitend beschrieb: „Wünsche Dir was vom Universum“…und nicht von deinem Mann oder von deinem Nachbarn.


Sonntag, 22. Mai 2016

Heimat


Sie fragten sie was sie unter Heimat verstehe, was für sie Heimat bedeutet. Sie musste lachen wie sie immer lachte wenn sie keine Antwort wusste, oder wenn sie diese sofort wusste und gleichzeitig wusste, sie werde sie vielleicht nie in Worte fassen können. Sie musste das Lachen lachen das man lacht, wenn einem nicht zum lachen ist. Das grundlose Lachen das niemals grundlos ist, nur das einzige ist, das noch möglich war, außer schweigen, außer weinen, außer fortlaufen wollen. Fort von der Frage, die gestellt worden war. Fort von der Frage die so-fort beantwortet war, schon bevor sie gestellt worden war. Sosehr fort, dass sie so klar war wie das Wasser im Glas vor ihr in dem der Zitronenkern schwamm: So klar, dass sie es niemals ausdrücken wollte was sie sofort wusste: Heimat war Einsamkeit.