Donnerstag, 7. Januar 2016

Mats Ek's letzter Tanz

Fotografie: C. Krug

Er hackt Holz. die Bühne ist blank. Sie haben das Bühnenbild vor unseren Augen entfernt, zwischen diesem und dem letzten Stück. Er hackt Holz vor einer unglaublich hohen Ziegelwand die in Scheinwerfern endet. Er hackt Holz vor Kulissen die keine sind, rechts und links sehen wir  Kabel, Monitore, Geräte. All das, was Zuschauer normalerweise nicht sehen, denn normalerweise ist es geschützt vor ihren Blicken. Sie haben alles weggeräumt, gemeinsam. Die Techniker, die Tänzer und am Ende auch er, Yvan Auzely, Mitte fünzig, graues Haar, der Körper der eines Mannes der niemals aufgehört hat zu tanzen. Pinabauschig vielleicht, denn bei Pina war es üblich auch im Alter auf der Bühne zu stehen und nicht ausschließlich die Jungen zu unterrichten. Holzscheit um Holzscheit legt er auf den Block und spaltet. mit viel Kraft zielt er genau. Als die Musik einsetzt, hüpft, nein stolpert sie herein. Auf einem Bein, wie Pinochio der gerade bemerkt dass er sich ohne Fäden bewegen kann, mit dem Rücken zu uns, ihn ansehend, hopst sie auf die Bühne. Er beachtet sie nicht, hackt weiter. Auch sie ist um die sechzig, das graue Haar hat sie zu einem losen Zopf gebunden. Sie trägt wolligen Rock und Jacke, gräulich oder grünlich, bewegt ihre Hände wie Vögel, federleicht und so natürlich wie manche Primaballerina es niemals konnte.
Das Adagio von Albinoni schwillt an und ich verliere die Fassung. Glücklicherweise schützt mich die Dunkelheit des Zuschauerraums des Théâtre des Champs Elysees. Auch die beiden beleibten Herren in ihren teuren Anzügen neben mir scheinen erstarrt. In der Pause hatte einer von Ihnen gesagt „das war nicht grade Dornröschen, aber es war nicht schlecht.“ Auch ich hatte die Kälte des ersten, langen Stückes gespürt, ein Stück aus früherer Zeit des Choreographen, von den jungen der Semperoper getanzt, manchmal nackt. Schöne Körper. Getanzte Kühle, kopulationsartige Bewegungen. Vielleicht weil sie es so lernen, das Leben. Und weil Mats Ek damals, 1994, das Leben noch nicht so choreographieren konnte wie heute.

Er hackt unbeirrt weiter, der nicht mehr junge Tänzer, und sie lebt ihre Bewegungen um ihn herum. Auch ihre Bewegungen sind nicht mehr jung. Der Rücken nicht mehr „cambré“ wie die Franzosen sagen, ihre Strümpfe wirken wie Stützstrümpfe, vielleicht sind sie es. Keine Auswirkung bei ihm. Sie geht, sie kommt wieder, in anderer Kleidung, die selben Bewegungen. Immer wieder versuchend ihn vom Hacken abzuhalten, niemals penetrant, ihn nicht berührend, auch in ihrer Welt bleibend. Nur einmal, als er einen neuen Holzscheit holt, legt sie ihren Arm auf den Block. Ein kurzer Moment, dann geht sie wieder. Das Adagio ist noch nicht am Ende. Ich bin es fast. Zum Glück habe ich meinen Schal dabei. Er ist aus dem gleichen dünnen Material wie die Stofftaschentücher die mein Vater früher benutzte. Ich halte ihn beschämt vor mein Gesicht. Ich weine nicht so gerne neben älteren, beleibten Männern die auch so riechen und neben mir sagen „la nana, elle n'a pas beaucoup ans moins que nous.“ Immerhin, ihr Tonfall klingt gnädig.


Er hackt immer noch und irgendwann hält er inne, tut dies, tut jenes. Setzt sich neben den Block, doch nicht ruhend, das Hinterteil schwebend. Wartend. Sie ist nicht mehr in seiner Welt. Sie hat sich abgewendet, tanzt weiter ihren eigenen Tanz mit leichten Händen. Irgendwann nimmt sie ihn, stellt ihn aufrecht. Sie stapelt die gehackten Scheite auf seine Arme die bewegungslos halten. Stapelt in einer fast vorwurfsvollen Haltung, als wolle sie sagen „das hasst Du jetzt davon“. Als seine Arme gefüllt sind mit Scheiten, geht er von der Bühne, wie Pinochio als er noch an Fäden hing. Sie schlendert hinter ihm her, die Axt wie eine leichte Einkaufstasche tragend, wohl wissend, dass sie sie bis zum Ende hinter ihm hertragen wird.

Das Publikum ist begeistert. Selbst der Herr vor mir, der das ganze Stück in Merkels Rauten-Handhaltung nur diese nicht vor dem Bauch, sondern vor der Brust verbracht hat, die geschmalzten Locken in den Nacken gezurrt, selbst er klatscht verhalten. Seine Frau passt sich seinem Klatschrythmus an. Sie waren erst nach der Pause gekommen, wohl wissend, dass hier der Höhepunkt der Aufführung zu sehen sei, mir ein bisschen die Sicht nehmend. Ana Laguna durch Schmalzlocke. Neuer Blickwinkel. Der ebenfalls ergraute, ältere Amerikaner vor mir, der lange vor dem Stück schon mit seiner an allen Körperenden brillantierenden Frau neben der Reihe stand, Menschen grüßte, sich angeregt unterhaltend, er klatscht nicht. Nicht vor und nicht nach der Pause. Nicht vor und nicht nach Laguna.


Die Vorhänge fliegen, irgendwann stehen wir auf, spätestens dann als Mats Ek hereinkommt, nur der Amerikaner bleibt sitzen. Und als das Licht angeht bleibe ich kurz, denn ich habe einen Platz in der Mitte der Mitte, muss ohnehin die behäbigen Gilet-Träger abwarten die ihre nicht an der Garderobe abgegebenen Mäntel vom Schoß sortieren müssen bevor sie sich aus der Reihe winden. Ich habe es nicht eilig, bin noch benebelt von Stück, Geruch, Begeisterung und Diamantbesatz, und als ich als Letzte aus der Reihe trete, lächelt sie mich an. Eine ältere Dame, Japanerin vielleicht. Mit noch schlechterem Französisch als dem meinen sagt sie mir selig, dass es doch wunderbar gewesen sei, nicht? Sie kenne sie alle, sie durfte sie alle sehen, sagt sie. Aber keine ist so wunderbar wie Laguna. Wir unterhalten uns über die Stücke und als sie mich nach meinem Namen fragt und was ich tue, ob ich Tänzerin sei, wage ich nichts zu erwidern, außer „Neinnein, vielleicht irgendwann einmal, ein bisschen“. Sie sieht meinen ungläubigen Blick  und sagt „Warum nicht? Sie sind doch so jung. Wissen Sie, nur wenn man schon einmal auf einer Bühne gestanden hat, kann man sie wirklich fühlen.“ Sie fragt mich ob ich Kritikerin sei, ich fühle mich geehrt, doch fällt mir nicht ein was ich erwidern möchte, vielleicht „Neinnein, ich bin Bewunderin.“ Nun kennt sie immer noch nicht meinen Beruf den ich inzwischen selbst nicht mehr kennen möchte, außer vielleicht den der Mutter. Und als der Ordner in den bereits um uns herum geleerten Theatersaal kommt um uns zu sagen, dass das Theater schließt, nimmt sie ihren Stock in die Hand und sagt „Wissen Sie, dafür,“ mit dem Stock auf die Bühne zeigend, „dafür lohnt es sich für mich zu leben, die Treppe nach oben jeden Tag zu meistern.“ Sie lächelt ihr weises Lächeln und wir verlassen glücklich gemeinsam den Saal.

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