Sonntag, 1. Mai 2016

Is God a DJ?


Ich sitze im Zug zwischen Frankfurt und Mannheim. Auf Abwegen nach Paris. Wir fahren einen Umweg. Wegen Gleisbauarbeiten können wir nicht den direkten Weg nehmen, benötigen 25 Minuten länger. Losgefahren in Frankfurt sind wir allerdings pünktlich. Als wir fuhren stand ich im Zug, im ersten erlaufbaren Wagen, ganz am Ende des Bahndamms. Dort wo sie sich küssen, Zug und Bahnhof. Ich im küssenden Zug, er draußen am geküssten Bahndamm, an die Scheibe klopfend, mit dem Schaffner in Zeichensprache sprechend, ihm noch einmal zu öffnen. Der Schaffner, ein junger sympathischer Mann mit momentan modernem Ziegenbärtlein, ein Mann den ich in seiner Freizeit mit seinen Freunden in einer Bar sehe wie die in der ich am Wochenende war. Dort, wo wieder geraucht wird, boyfriendstyle auch von boyfriends getragen wird, manchmal eine Strickmütze dazu, die Sprache ist gewählt. Lässiger Look nicht gleich lässige Sprache. Imponierende Jugend. Sie sind freundlich, zuvorkommend im Gegensatz zum gewollt schmuddelig wirkenden Äußeren. Sie sind ambivalent, so wie wir es alle sind. Doch sie leben es bewusst, sind bewusst unspießig, diese neuen Jungen, die auch uns Alte mittanzen lassen. So war es zumindest am Freitag in der Bar in die wir über eine Garage hineingingen, dort angeboten bekamen doch erst einmal nachzusehen ob wir bleiben wollten bevor wir die Jacke an den Kleiderständer auf Rollen hängen konnten. Nachdem wir eigentlich abgewiesen worden waren, freundlich, mit dem Hinweis heute wäre eine Party. Und nachdem wir den Namen der DJs genannt hatten wegen derer wir gekommen waren und wir nun wie ein guter Freund sofort Eingang fanden. Quer durch ein spießiges 80er Jahre Treppenhaus auf und ab. Kein Garderobengeld, kein Eintritt. Diesen jungen Leuten Trinkgeld zu geben wäre mir vorgekommen als hätte ich meine Mutter fürs Windeln wechseln bezahlen wollen. So empfinde ich sie, diese neuen Jungen, sowohl am Freitag Abend in der hippen Bar in einer Gasse die keine war, eher ein Seitenstrang einer Gasse mit Versorgungstüren. Irgendwo hinter den Gebäuden des großen Geldes. Dort ließen sie uns mittanzen und sagten als wir gingen „es war schön, Sie bei uns gehabt zu haben.“ Wortwahl die ich selbst kaum kundenwärts über die Lippen bringen würde, hätte ich einen Laden. Diese jungen Menschen sprechen mit Hängehose, Strick-Zipfelmütze und Schlabberjacke das aus, was in meinem Hirn noch mit Zweireiher, Manschettenknöpfen, Rotweinbauch und Aftershave-Wolke verknüpft ist. Sie sind einfach cool. Sie zeigen Gefühl dort, wo wir ältere uns verbarrikadieren hinter abgeklärtem Lachen und sarkastischen Witzen. 

So sehe ich heute den jungen Schaffner bei dem ich mir einbilde auch seine Uniformhose hängt auf halb acht, doch sein Flesh Tunnel im Ohr sehe ich wirklich als er dem Mann durch die Scheibe sagt, „es tut mir Leid, ich kann Ihnen nicht mehr aufmachen.“ Ich spüre Bedauern und Mitgefühl mit dem anderen vor der Scheibe, dem traurigen, der nun nicht mehr mit nach Paris fahren kann und in meinem Tagtraum sehe ich, wie der Uniformierte die Hand von innen an die Scheibe legt - zum Zeichen der Solidarität. Dieser Tagtraum versöhnt mich mit meiner noch pochenden, schnaubenden Erschöpfung vom Rennen zum Zug und der psychischen Abschussrampe durch das Rasen im Auto mit 100km/h durch die großteils gesperrte Innenstadt Frankfurts - weil wir das  Radrennen rund um den Finanzplatz vergessen hatten. Ich habe ihn also gerade noch erreicht während des Kusses, den nun abfahrenden Zug, bevor Hängehosenuniform die Tür schließt und mir zulächelt. Ich bin drin im Zug nach Paris, auch ohne den Namen des DJs zu kennen. Maybe God is my DJ - oder Zugführer Brinkmann und sein Team.

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